Beitragen statt Tauschen
Commons und Peer-Produktion als Grundlagen einer nichtkapitalistischen Gesellschaft
Commonsbasierte Produktion einst …
- In vielen Gesellschaften waren die Produktionsmittel oder ein größerer
Teil davon Commons.
- Europäische Landwirtschaft im Mittelalter: System offener Felder.
- Wasser, Luft, Wälder und Land waren traditionell Gemeingut.
- Commons (Gemeingüter, Allmenden) sind etwas, das allen zusteht, und
das gemäß selbstdefinierten Regeln gemeinsam oder anteilig genutzt wird.
- Garrett Hardin hat sich getäuscht: Commons waren kein Niemandsland, dass
jede/r nach Belieben gebrauchen und verbrauchen könnte.
- Die Commons sind nicht kollabiert, sie wurden zerstört und gestohlen: die
Einzäunung (Privatisierung) der Commons war die tatsächliche Tragik
der Allmende („sog. ursprüngliche Akkumulation“).
… und heute
- Freie-Software-Bewegung: Pool von Hunderttausenden von
Softwareprogrammen, die jede/r nach Belieben verwenden, anpassen, und
weitergeben kann.
- Aber man muss sich an die Regeln halten, die sich die Community zum
Schutz der Commons (vor Privatisierung) und ihrer Urheber/innen (vor
falscher/fehlender Namensnennung und vor Haftungsrisiken) gegeben hat.
- Freie-Kultur-Bewegung schafft und verbreitet Freie Inhalte (Texte,
Musik, Filme und mehr).
- Wikipedia
- Creative Commons
- Open-Access-Bewegung: freier Zugang zu wissenschaftlichem Wissen.
… und heute
- Freie Funknetze: selbstorganisierte Computernetzwerke, die freien
Datenverkehr zwischen Computer ermöglichen und freie Zugangspunkte ins
Internet zur Verfügung stellen.
- Interkulturelle Gärten (community gardens): kleine selbstverwaltete
Allmenden, die an vielen Orten der Welt, meist in städtischen Umgebungen,
entstanden sind.
- BookCrossing und ähnliche Projekte: Bücher „wandern“ von einer
Leser/in zur nächsten.
→ Verschiedene Erscheinungsformen eines Phänomens, für das der
US-Rechtsprofessor Yochai Benkler den Begriff commonsbasierte
Peer-Produktion geprägt hat.
Beispiele (digitaler) Peer-Produktion
Merkmale der Peer-Produktion
(1) Peer-Produktion basiert auf Beiträgen (nicht auf Tausch).
Peer-Projekte haben ein gemeinsames Ziel, und jede Teilnehmer/in trägt
in der einen oder anderen Weise zu diesem Ziel bei.
Menschen tragen etwas zu einem Projekt bei, weil sie wollen, dass es
erfolgreich ist, nicht weil sie Geld verdienen wollen – motiviert durch
Gebrauchswert, nicht durch Tauschwert.
Aufwand zur Erreichung des gemeinsamen Ziels wird unter denen aufgeteilt,
denen das Ziel hinreichend wichtig ist, um dazu beitragen
(„Aufwandsteilung“).
Merkmale der Peer-Produktion
(2) Peer-Produktion basiert auf freier Kooperation (nicht auf Zwang oder
Befehl). Es gibt Strukturen, aber keine Befehlsstrukturen: niemand kann
anderen befehlen, etwas zu tun, und niemand ist gezwungen, anderen zu
gehorchen.
Strukturen sind wandelbar: Projekt-Teilnehmer/innen können versuchen,
Strukturen oder Ausrichtung zu ändern, und notfalls das Projekt forken
und ihr eigenes Ding machen.
Merkmale der Peer-Produktion
(3) Peer-Produktion basiert auf Commons (Gemeingütern) und Besitz (nicht
auf Eigentum). Commons wie Freie Software oder Offenes Wissen spielen
eine wichtige Rolle als Input und/oder Output von Peer-Projekten.
Dinge, die keine Commons sind, sind als Besitz (etwas, das benutzt
werden kann) von Bedeutung, nicht als Eigentum (etwas, das verkauft
werden kann).
Wie könnte eine commonsbasierte Peer-Ökonomie aussehen?
- Was können wir von den commonsbasierten Produktionsweisen der
Vergangenheit und Gegenwart lernen?
- Commons (Gemeingüter) brauchen Communities (Gemeinschaften).
- Die Communities machen sich ihre eigenen Regeln zum Schutz und zur
Stärkung der Commons.
- Eine commonsbasierte Gesellschaft wird auf Communities basieren, die ihre
eigenen Regeln entwickeln, um Commons zu schaffen, zu bewahren und
zu nutzen.
- Die Produktion wird auf einem Pool von Commons aufbauen, den die
Menschen und ihre Communities schaffen und bewahren.
Prinzipien einer solchen Gesellschaft?
(1) Alle können nach Belieben geben.
- Beteiligten an Peer-Projekten suchen sich selbst aus, welche Beiträge
sie leisten, welche Aufgaben sie übernehmen möchten (weil ihnen die
entsprechenden Ziele wichtig sind oder weil ihnen die Aufgaben gefallen).
- Was man besonders gerne macht, macht man oft auch besonders gut.
- Das heißt nicht, dass jeder Beitrag akzeptiert werden müsste – dafür
braucht es auch das Vertrauen der anderen.
Prinzipien einer solchen Gesellschaft?
(2) Etwas von den Commons nehmen kann man nur als Besitz, nicht als
Eigentum.
- Besitz ist was man benutzt.
- Eigentum ist was man nach Belieben verkaufen oder vermarkten kann.
- Die von mir gemietete Wohnung ist mein Besitz, aber das Eigentum
meiner Vermieter/in.
- Commons können häufig Besitz werden, aber niemals Eigentum (im vollen
Sinne des Worts).
- In einer commonsbasierten Gesellschaft sind die Ressourcen und
Produktionsmittel Commons. Die damit produzierten Güter sind Commons
oder Besitz.
(2) Commons können Besitz, aber kein Eigentum werden
- Ohne Eigentum gibt es auch keinen Profit.
- In commonsbasierten Gesellschaften erfolgt die Produktion aus anderen
Gründen als im Kapitalismus:
- Menschen beteiligen sich an der Produktion eines Gutes, das sie
selbst gern hätten
- sie übernehmen Aufgaben, die sie gerne machen
- sie beteiligen sich, um der Gemeinschaft etwas zurückzugeben
- …
→ Es gibt vielfältige Gründe für produktive Tätigkeit – auch ohne
Profit.
Prinzipien einer solchen Gesellschaft?
(3) Alle können Gemeingüter in Besitz nehmen, solange sie damit niemandem
etwas wegnehmen.
- Genau wie heute: alle können sich Freie Software und Freie Inhalte nach
Belieben nehmen (unabhängig davon, ob sie anderen etwas zurückgeben),
denn sie nehmen damit niemandem etwas weg.
- Funktioniert für alle Güter, die frei zur Verfügung stehen (z.B. weil sie
praktisch kostenlos kopiert werden können).
Prinzipien einer solchen Gesellschaft?
(4) Wenn Nehmen zum Wegnehmen zu werden droht, ist es am besten, so viel
zu produzieren, dass alle Bedürfnisse befriedigt werden.
- Wenn etwas nicht frei kopiert werden kann, braucht es soziale
Vereinbarungen.
- Wenn zwei Leute ein einziges Fahrrad nutzen wollen: wer bekommt es?
- Die beste Lösung ist, das fragliche Gut in hinreichender Menge zu
produzieren, um alle Bedürfnisse zu befriedigen.
- „Wir müssen noch ein zweites Fahrrad herstellen.“
- Organisatorische Herausforderung: die Produktion so zu organisieren,
dass genügend Güter vorhanden sind, so dass niemand verzichten oder
anderen etwas wegnehmen muss.
Prinzipien einer solchen Gesellschaft?
(5) Die zweitbeste Lösung besteht darin, nur begrenzt verfügbare Güter
auf faire Weise zu verteilen.
- Jede Produktion erfordert Aufwand, der verteilt werden muss.
- Im Idealfall passiert diese Aufwandsteilung spontan.
- z.B. Freie Software/Inhalte: Stigmergische Aufwandsteilung:
Beteiligte hinterlassen Hinweise (Zeichen, griechisch stigmata) auf
Arbeiten, die noch zu tun sind:
- To-Do-Listen, Bug Reports, Feature Requests
- Wikipedia: „rote Links“, Gewünschte Artikel
- Andernfalls sind explizit vereinbarte Regeln oder Mechanismen
nötig.
- z.B. BitTorrent: wer mehr Bandbreite für andere zur Verfügung stellt,
erhält selbst schnellere Downloads → Kopplung von Geben und Nehmen.
(4+5) Wie Aufwand und Güter aufteilen?
(4+5) Wie Aufwand und Güter aufteilen?
(4+5) Wie Aufwand und Güter aufteilen?
Aufwand wird unter denen aufgeteilt, die beitragen können – wer
nicht beitragen kann (soll? will?), muss auch nicht.
Wie natürliche Ressourcen aufteilen?
Ressourcen sind Commons: sie sind Teil des Pool der Commons,
ebenso wie Aufgaben und Guter.
In ausreichendem Umfang verfügbare Ressourcen stehen frei zur
Verfügung (da natürliche Ressourcen keinen Produktionsaufwand haben).
Wenn nicht alle Nachfragen befriedigt werden können, kann die Ressource
»versteigert« werden: diejenigen, die bereit sind, im Gegenzug am
meisten Aufwand beizutragen, erhalten den Zuschlag.
→ Wer mehr Aufwand beiträgt, erleichtert allen anderen das Leben,
da alle anderen nun etwas weniger beitragen müssen.
Die Ressourcen selbst müssen im Allgemeinen erhalten bleiben – das
Recht zur Nutzung bedeutet kein Recht zum Verbrauch.
Prinzipien einer solchen Gesellschaft?
(6) Für die Zusammenarbeit können sowohl gemeinsame Interessen wie auch
räumliche Nähe entscheidend sein. Unterschiedliche Zusammenschlüsse werden
je nach Bedarf ineinander verschachtelt und miteinander verzahnt sein.
- Viele unterschiedliche Projekte kümmern sich um die Produktion
bestimmter Güter.
- Regionale Gemeinschaften verschiedener Größenordnungen kümmern sich
um die Dinge, die alle Menschen in dem entsprechenden Gebiet betreffen.
- Regionale Gemeinschaften und Projekte werden nach Bedarf miteinander
kooperieren, wenn es um die Organisation größerer Aktivitäten
oder um die Nutzung und Aufteilung ungleich verteilter Ressourcen
geht.
(6) Lokale Kooperation
(6) Kooperation zwischen Projekten
Prinzipien einer solchen Gesellschaft?
(7) Peer-Produktion vollzieht sich zwischen Menschen, die auf
gleichberechtigter Basis (als „Peers“) zusammenarbeiten.
- Siehe vorn: Peer-Produktion basiert auf freier Kooperation (nicht auf
Zwang oder Befehl). Niemand kann anderen befehlen, etwas zu tun, und
niemand ist gezwungen, anderen zu gehorchen.
- Maintainer können nur mit gutem Beispiel vorangehen und die anderen
überzeugen, dass ihre Vorschläge sinnvoll sind.
- Strukturen sind wandelbar: Niemand ist gezwungen, die bestehenden
Strukturen so zu akzeptieren wie sie sind.
Was sind die Unterschiede?
- Bedürfnisbefriedigung, nicht Profit, ist Ziel der Produktion.
- Direkte, lose koordinierte Kooperation mit anderem statt Kauf und
Verkauf.
- Die Produktionsmittel sind Commons, sie stehen allen gemeinsam zu
– es gibt keine doppeltfreien Lohnarbeiter, die ihre Arbeitskraft
verkaufen müssten.
- Es gibt im Produktionsprozess keine Konkurrenten, die man ausstechen
müsste. Stattdessen ist es für die Produzent/innen sinnvoll, sich mit
den anderen zusammenzutun oder abzustimmen, um ihre Ziele möglichst
optimal und mit wenig Aufwand erreichen zu können.
Was sind die Unterschiede?
- Schnellere Verbreitung von Wissen und Innovationen, da mit der
Notwendigkeit des Auskonkurrierens der Sinn von Geheimhaltung
entfällt.
- Kein struktureller Zwang zum Wachstum mehr – ob die Gesamtheit der
produzierten Gebrauchswerte zunimmt, hängt allein von den Präferenzen der
Menschen ab.
- Wenig Regulierungsbedarf, da die Antagonismen der kapitalistischen
Produktionsweise (zwischen Konkurrenten; zwischen Kapitalisten und
Arbeiter/innen) entfallen – der Staat, wie wir ihn heute kennen,
wird überflüssig.
Materialien
- Buch: Siefkes, Christian. From Exchange to Contributions. Edition
C. Siefkes, Berlin, 2007. Lizenz: Creative Commons BY-NC-SA.
- Deutsche Ausgabe: Beitragen statt tauschen. AG SPAK Bücher,
Neu-Ulm, 2008. Lizenz: Creative Commons BY-SA.
- Website: http://peerconomy.org/
- Gemeinschaftsblog: http://www.keimform.de/